Ich weiß, es klingt fast überheblich, wenn ich sage, dass es für mich aktuell keine realistische Bildungschance gibt. Ich hab einen Job, eigentlich sogar zwei. Ich bin nicht arbeitslos, ich bin nicht auf der Straße, ich bin offiziell "gut aufgestellt". Ich verdiene x€ im Monat als ISM und DPO – aber eben auch gerade genug, um aus allen Fördertöpfen rauszufallen. Und jetzt frag mich mal, was davon übrigbleibt: 20 % gehen direkt für Alimente weg, meine Wohnung frisst die Hälfte meines Einkommens. Ich zahl noch immer den Kredit für Kaution und Möbel ab, weil ich mir am Anfang meiner Wohnung schlicht nichts leisten konnte. Und damit ich „legal“ im Leben stehen kann – mit Anmeldung, Handyvertrag, Versicherungen, Konto – geht nochmal was drauf. Was bleibt? Rund x € im Monat – wenn ich nix extra zahle, nix kaputt geht und der Strom nicht steigt. Essen ist da schon knapp berechnet. Und jetzt soll ich davon eine anerkannte Ausbildung machen?
Ich will ja gar keine Weltreise. Ich will einfach einen offiziellen Abschluss, damit meine Leistung zählt. Aber ich hab keine Zeit, kein Geld und keine Unterstützung.
Keine Bildungskarenz, kein Arbeitgeber, der was zahlt. Online-Kurse bringen nichts, weil sie im CV nix wert sind. Ich hab als junger Mensch die Matura verpasst.
Kein Studium. Kein „akademischer Weg“. Ich hab Firmen genutzt, um mich weiterzubilden – und gelernt hab ich viel. Aber ohne Zertifikat bringt dir das nichts.
Ohne diesen verdammten „Nachweis“ wirst du einfach übersehen. Und wenn du glaubst, dass wenigstens die Berufsreifeprüfung hier greift – denk nochmal.
Selbst mit dem Bildungsgutschein der AK bleibt genug offen: Prüfungsgebühren, Materialien, alles extra. Und die Kurse starten nur zweimal im Jahr. Was also tun?
Ich hab wirklich alles versucht
In den letzten fünf Jahren hab ich jede Weiterbildung mitgenommen, die halbwegs möglich war. Ich hab Scrum Basics gemacht, mehrere Microsoft-Zertifizierungen bestanden, war zertifizierter Datenschutzbeauftragter, hab SharePoint-Workshops gemacht, medizinische Inhalte für Tätowierer, weil’s halt verfügbar war. Alles, was ich finden konnte, das irgendwie zählbar klang. Ich hab zwei komplette ISMS-Projekte zur Zertifizierung gebracht, inklusive Risikoanalysen, internen Audits, Awareness-Kampagnen, BCM, Rollenkonzepten und sauberer Doku. Ich hab Teams geschult, Prozesse gebaut, Systeme betreut, Security-Strukturen aufgesetzt – das ganze Paket.
Ich war nie jemand, der sich vor Technik gedrückt hat – ich hab alles, was kam, begriffen und umgesetzt. Egal ob Verträge, Kommunikation, Planung oder Technik – ich konnte alles. Ich hab sogar Wirtschaftsprüfer:innen gecoacht und intern Leute weitergebildet. In jeder Firma hab ich mich reingekämpft, Verantwortung übernommen, Strukturen aufgebaut. Aber all das zählt nicht, wenn kein offizielles Zertifikat draufklebt. Kein Studium, keine Matura – dann bist du im System halt trotzdem nur der Typ, der „eh viel kann, aber nix abgeschlossen hat“.
Ich hab alles probiert – und trotzdem scheint das niemanden zu interessieren.
Zwei von vier – aber der Rest hat’s in sich
Ich habe Deutsch und Englisch bereits abgeschlossen. Nicht ohne Stolz. Nicht ohne Zähne zusammenbeißen. Aber nun kommt Mathe – mein Endgegner. Und das „Fachbereichs-Modul“, das eigentlich das Einfachste sein sollte. Sollte. Früher hätte ich hier eine Fachbereichsarbeit schreiben können. Also zum Beispiel ein Projekt über IT-Security, Datenschutzprozesse, Umsetzung in KMU. Dinge, mit denen ich mich jeden Tag beschäftige. Aber nein. Diese Option gibt es nicht mehr. Wurde gestrichen. Heute darf man – auch mit 20 Jahren Berufserfahrung – nochmal in den klassischen Unterricht. 100 Stunden Minimum, auch wenn du jeden Begriff im Schlaf aufsagen könntest. Einfach, weil das halt die Regel ist.
Keine Flexibilität, kein Realitätsbezug
Und als wäre das nicht schon genug, starten diese Kurse auch nur im Frühjahr oder Herbst. Wenn du gerade dazwischen Zeit hättest – Pech. Außerdem: Die Inhalte? Meistens nichts, was mit meinem heutigen Beruf zu tun hat. Schon seltsam, wenn du in deinem Job täglich komplexe Systeme bewertest, aber dann im Kurs sitzt und dir jemand grundlegende Berufsfelder erklärt, die du vor 15 Jahren schon abgehakt hast.
Ich verstehe ja, dass es ein System braucht. Aber das hier ist kein System – das ist ein Korsett, das keine Beweglichkeit zulässt. Kein Spielraum für echte Erfahrung. Kein Platz für Lebensrealität.
Geld? Spielt keine Rolle – wenn du zu viel verdienst.
Förderungen? Kann ich vergessen. Ich verdiene zu viel für eine Unterstützung, aber zu wenig, um mir alles locker leisten zu können. Kein Recht auf Bildungskarenz, kein bezahlter Bildungsurlaub, keine Unterstützung durch den Arbeitgeber. Selbst mit dem Bildungsgutschein der Arbeiterkammer bleiben noch genug Kosten offen – Prüfungsgebühren, Material, Anfahrt, Zeit.
Ich zahle Miete, Unterhalt, Lebensmittel. Ich trage Verantwortung. Ich arbeite, ich bilde mich weiter, ich zahle meinen Kredit für Möbel ab.
Aber offensichtlich ist das nicht genug, um eine faire Chance auf einen offiziellen Abschluss zu bekommen.
Ich mache weiter. Ich setze mich wieder hin, rechne Mathe. Übe Dinge, die ich nie brauchen werde – weil ich will, dass mein Wissen endlich sichtbar wird. Ich will nicht mehr der sein, der „eh alles kann, aber keinen Abschluss hat“. Ich will nicht, dass das alles umsonst war.
Was ich will, ist eigentlich ganz bescheiden: Ein System, das Erfahrung anerkennt.
Eine Bildung, die Menschen abholt, wo sie stehen, nicht wo sie „hätten sein sollen“.
Ein bisschen weniger Bürokratie, ein bisschen mehr Realität.
Mein Fazit: Gatekeeping statt Gerechtigkeit
Am Ende bleibt für mich ein Gefühl, das ich schon lange kenne: Dieses System war nie für Menschen wie mich gedacht. Nicht als Kind, nicht als Jugendlicher, und ganz sicher nicht als Erwachsener, der Verantwortung trägt und trotzdem weiterkommen will. Ich bin nicht in eine Akademikerfamilie geboren. Ich hatte keinen Vater, der mir erklärt hat, wie man ein Studium beginnt. Keine Mutter, die mir gesagt hat, wo man um Unterstützung ansucht. Keine Struktur, kein Plan, kein Sicherheitsnetz. Ich war einfach irgendwann in diesem System – und musste zusehen, wie andere scheinbar mit Leichtigkeit durchrutschen, weil sie wussten, wo sie hingreifen müssen, weil sie Eltern, Onkel, Netzwerke oder Geld hatten.
Mir hat das niemand gezeigt. Ich hab das alles selbst rausfinden müssen. Und immer, wenn ich dachte: Jetzt hab ich’s, kam die nächste Mauer. Und diese Mauern sehen unterschiedlich aus: Fördergrenzen, Einstiegshürden, fehlende Anerkennung, Fristen, Zugangsbeschränkungen, Verwaltung, Nachweise. Aber sie alle basieren auf demselben Prinzip: Gatekeeping.
Denn nur wer sich im System auskennt, wer sich leisten kann, Zeit und Geld in „anerkannte“ Bildung zu investieren, darf weitergehen. Alle anderen? Dürfen „eh mitmachen“, aber nur bis zu einer gewissen Schwelle – dann wird aussortiert. Die, für die das System gemacht wurde, kommen durch. Alle anderen dürfen sich reinkämpfen. Und wehe, du schaffst’s nicht auf Anhieb – dann giltst du gleich als nicht motiviert genug. Faul. Ungeeignet. Aber ich war nie faul. Ich habe zwei Jobs. Ich habe Kinderverantwortung. Ich zahle Unterhalt, Miete, Kredite. Ich bilde mich ständig weiter, ich mache alles, was ich kann – und noch mehr.
Aber anscheinend reicht das einfach nicht.
Nicht für den nächsten Schritt. Nicht für die nächste Stufe.
Nicht für ein „offiziell anerkanntes“ Ich.
Mit 40 reg ich mich nicht mehr auf. Ich mach’s anders.
Ich hab diese Website selbst bezahlt – also nutze ich sie, wie ich es für richtig halte.
Ich erzähle meine Geschichte. Weil sie zählt. Weil sie echt ist. Und weil sie vielen anderen ähnlich geht – nur redet kaum jemand darüber.
Denn das Problem ist nicht Faulheit.
Es ist ein System, das ausgrenzt, bremst und klein hält, wenn du nicht von Anfang an mit dem richtigen Rucksack losläufst.